Samstag, 19. Dezember 2015

Putin, Putin und kein Ende - Propaganda wie zu Joseph Goebbels Zeiten



Ein Artikel von publikumskonferenz.de und Anja Böttcher

Programmbeschwerde zur Doku ZDFzeit: Machtmensch Putin 

Film von: Annette Harlfinger, Caroline Reiher, Michael Renz und Dietmar Schumann 
Kamera: Michael Habermehl, Zeljko Pehar 
Produktion: ZDF/Birgit Helten 
Redaktion: Philipp Müller, Ursula Schmidt 

Ich gebe es zu: Ich habe mir diese neue ZDF-„Doku“ bewusst nicht angeschaut. Die Erfahrungen, die ich in den letzten zwei Jahren mit Produktionen dieser Art gemacht habe, genügen um zu wissen: Die Summe der beitragsfinanzierten Dämlichkeiten ist konstant. Das letzte Putin-Porträt, dem die Publikumskonferenz im Februar diesen Jahres, auf Grund der Intervention ehemaliger Nachbarn der Familie Putin in Dresden, eine Beschwerde widmete, wirkt zudem noch unangenehm nach. In der Jahresendausgabe „Machtmensch Putin“ wurde zu allem Überfluss der Ex-Focus-Mitarbeiter und notorische Putinhasser Boris Reitschuster in einen völlig unverdienten Expertenstatus gehoben.


Reitschusters Onlineaktivitäten, die sich in den sozialen Netzwerken hauptsächlich mit Russlandschelte befassen und beim Ausleben seiner Putin-Obsession auch schon mal homophobe Stereotype bemühen, werden von den „Kollegen“ im Geiste gerne geteilt und geliked. Unter diesem seltsamen Account trifft sich Alles, was bei der Russlandkritik in Dauerschleife „Rang und Namen“ hat – Spiegel-Journalisten, dubiose Ost-Europa-Experten, WDR-Radiofritzen bis hin zum ZDF-Fernsehratsvorsitzenden Polenz. Man versteht sich bei dieser Thematik offenbar blind und natürlich vollkommen unabhängig, wie das Mitglied der Atlantikbrücke, Claus Kleber, jüngst versicherte. 

Die Community war amüsiert. Das Dilemma einiger Film- und Fernsehschaffender, die sich (natürlich vollkommen frei(-willig) und unabhängig) der Feindpropaganda verschrieben haben, dürfte normalerweise darin liegen, dass zwar das Feindbild klar gesetzt ist und gepflegt werden muss, gleichzeitig aber auch diverse Programmgrundsätze einzuhalten sind. 

(4) Programmrichtlinie des ZDF Die Berichterstattung muss von vorbehaltlosem Willen zur Wahrhaftigkeit und Sachlichkeit bestimmt sein. Zweifel an der Zuverlässigkeit einer Nachricht sind zum Ausdruck zu bringen. 

Unsere damalige Mahnung an die Programmveranstwortlichen und an die „Anwälte des Publikums“, Anstand und Diplomatie gegenüber dem Präsidenten eines souveränen Staates zu wahren und im Interesse der Anspruchsberechtigten künftig mehr auf die Qualität der Produktionen und auf die Einhaltung der Programmgrundsätze zu achten, verhallte. Sowohl der Fernsehrat als auch der Beschwerdeausschuss sahen in klar nachgewiesenen unwahren Darstellungen (im Volksmund auch Lügen genannt), Diffamierungen und unbelegten Behauptungen keinen Verstoß gegen die für das ZDF geltenden Rechtsvorschriften. 

Wir dokumentieren im Wortlaut die Programmbeschwerde unserer Mitstreiterin Anja Böttcher zu der erneuten Fehlleistung des ZDF: 

Fehrsehrat des ZDF Fernsehrat@zdf.de 
Betrifft: Programmbeschwerde zur „Dokumentation“ „Machtmensch Putin“ vom 15.12.2015 

„Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und der Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.“ § 11 Rundfunkvertrag 

Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit möchte ich als deutsche Staatsbürgerin und als jemand, der seit mehr als zwei Jahrzehnten mediendidaktisch tätig ist, Programmbeschwerde über die ZDF-„Dokumentation“ „Machtmensch Putin“ einlegen, die allen gesetzlichen Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland in eklatantester Weise widerspricht. Von Beginn an vermittelt die Sendung zu einem großen europäischen Nachbarland, nämlich der Russischen Föderation, nichts anderes als eine grobe Schwarz-Weiß-Karikatur, die das Land in bester anti-kommunistischer Tradition in sensationsheischendem Ton als schreckensstarres Reich der Finsternis kolportiert, das von einem einsam despotisch führenden Diktator mit eiserner Hand herumdirigiert wird, von dem zudem noch die expansive Bedrohung der aggressiven Unterwerfung europäischer Nachbarn sowie die dämonische Absicht ausgeht, die Europäische Union zu zerstören.

Dabei war offensichtlich der verantwortlichen ZDF-Redaktion keine unseriöse Effekthascherei, keine Unredlichkeit, ja noch nicht einmal die Lancierung als solcher heute einwandfrei bekannter Falschaussagen zu billig. Da die Missstände, die diese Sendung aufweist, zu zahlreich sind, als dass sie in Gänze hier angeführt werden könnten, möchte ich mich auf einige wenige beschränken, die allein hätten ausreichen müssen, um die Ausstrahlung der Sendung zu unterlassen.

Mangelnde Objektivität der Darstellung: Die unsichtbare russische Invasion 

So wird im ersten Drittel der Sendung hinsichtlich Russlands Politik in der Ukraine unhinterfragt die Behauptung kolportiert, die russische Armee sei invasiv in den Donbass eingefallen, obgleich diese Sichtweise weder durch die Berichte der OSZE gestützt wird noch der Darstellung auf den Seiten des Auswärtigen Amtes entspricht. Als einziger „Kronzeuge“ dieser, nach aktuellem Kenntnisstand, nachweislichen Falschaussage zitiert die verantwortliche Redaktion prekärer Weise ausschließlich den inzwischen abgesetzten inzwischen von Obama zurückgepfiffenen Nato-Oberbefehlshaber Philip Breedlove.

Dieser US-General stieß aber nicht nur der französischen Regierung unangenehm auf, weil er den regelmäßig an die US-Administration weitergegebenen Erkenntnissen der französischen Dienste widersprach. So erklärte der französische General Christophe Gomard vor der Französischen Nationalversammlung: „Wir haben in der Tat festgestellt, dass die Russen weder Kommandostellen noch Hinterlandeinrichtungen, etwa Feldspitäler organisiert hatten, die ihnen eine militärische Intervention ermöglichen würden.“ Seiner Begutachtung aller Frankreich zur Verfügung stehenden Dokumente zufolge habe es nie einen Hinweis darauf gegeben, dass Russland auch nur eine Invasion der Ukraine vorgehabt habe. 


Noch ungehaltener über die als gefährlich eskalierend eingeschätzte Rolle des US-Generals zeigte sich die Bundesregierung, allem voran Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der die Äußerungen Breedloves als „gefährliche Propaganda“ einstufte, als er sich zum Zweck seiner Zügelung im März 2015 an Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wandte. 


Schlussendlich wurde der bekanntermaßen den US-Falken angehörige Nato-Chef selbst von der US-Regierung als derart unhaltbar erachtet, dass Präsident Obama ihn zurückpfiff. Und nun zitiert ihn eine sich als „Dokumentation“ ausgebende Sendung des ZDF als unbestechlichen Zeugen ‚russischer Aggression‘? Wie kann so etwas zustande kommen? Ist dies ein Recherchefehler oder eine absichtliche Irreführung der deutschen Öffentlichkeit?

Ausgewogenheit der Darstellung: 
Im Herzen der propagandistischen Finsternis 

Die Russische Föderation wird in dem Beitrag dargestellt als ein Land, dessen Regierung lediglich aus seinem dominanten und finsteren Präsidenten besteht, der für seine persönliche paranoide Persönlichkeitsstörung ein ganzes Land in Haftung nimmt und aus einer pathologischen Herrschsucht von der Obsession besessen ist, die europäische Union zu zerstören. Hierbei, so insinuiert der Beitrag, stehe ihm ein umfassender propagandistischer Apparat zur Verfügung, der geeignet sei, die offensichtlich für unmündig gehaltenen europäischen Medienkonsumenten zu verwirren. (Dabei müsste das ZDF aus eigener leidvoller Erfahrung mit gut ausrecherchierten kritischen Publikumszuschriften doch wissen, dass die medienanalytisch offensichtlich kompetenten deutschen Zuschauer genau zu beobachten verstehen.) 

Deshalb wird in alarmistischem Ton gewarnt vor der Manipulation des Internets durch eine ominöse in Sankt Petersburg situierte „Trollfabrik“, die höchstpersönlich der Chef des Kremls überwachen soll. Diese, so versucht der dramatisierende Darstellungsmodus der „Dokumentation“ nahezulegen, sei geneigt, die dunkle Sicht des Kremls auch in Köpfe ahnungsloser europäischer Internetnutzer zu implantieren. Nun scheint es in der Tat (nicht erst) im 21. Jahrhundert zu der unerfreulichen Komponente der Außenpolitik von Staaten zu gehören, ihre Sichtweise im Ausland nicht nur auf diplomatischem Wege zu vermitteln, sondern auch durch nicht als staatlich erkenntliche Kommunikationspartner innenpolitisch in anderen Ländern in Szene zu setzen, vor allem durch die Nutzung von Internetforen. 

Dass aber das ZDF davon ausgeht, dass hier Russland eine Vorzugsrolle einnehme und die dem Land unterstellte Neigung zur Desinformation primär mit Russland in Verbindung zu bringen sei, ist eine so abwegige Annahme, dass sie die Intelligenz jedes auch nur halbwegs informierten kritischen Bürgers grob beleidigt. Ich möchte hier nur ganz dezent auf die sehr aufschlussreichen Relationen hinweisen, die seit den Leaks des Whistleblowers Edward Snowden zum politischen Allgemeinwissen gehören dürften: 

Zu Russland: Im Frühjahr 2015 berichteten nahezu alle deutschen Leitmedien mit aufgewühltem Pathos, es gebe in Sankt Petersburg eine Institution, die mehrere hundert Mitarbeiter für einen Lohn von umgerechnet 900 Euro monatlich zwölf Stunden täglich damit beschäftige, im Sinne des Kremls Threads und Kommentare in diversen Internetforen zu posten. 


Diese Nachricht traf die damals von heftiger Kritik der eigenen Leser gebeutelten deutschen Leitmedien mit Wucht, löste sie doch große Erleichterung unter den führenden Journalisten der Außenressorts aus, die hierin den Nachweis sahen, es seien nicht etwa deutsche Leser, die die einseitige, manichäisch und dämonisierende Russlandberichterstattung des deutschen Mainstreams kritisierten, sondern nur „Kremltrolle“. Dabei gab die Faktenlage eine solche Deutung überhaupt nicht her: Denn Initialpunkt des Medienhypes um die „Trollfabrik“ war ein einziger Zeitungsartikel der russischen Zeitung Novaya Gazeta um eine in Sankt Petersburg beheimatete Firma unter dem Namen „International Research Agency“. 

Die Novaya Gazeta selbst firmiert wohl nach dem Verständnis der zuständigen ZDF-Redaktion unter jenen Presseorganen, die die „Dokumentation“ folgendermaßen charakterisiert: „Die Medien sind für den russischen Präsidenten ein zentrales Mittel der Politik. Nur noch einige wenige Zeitungen dürfen unabhängig und kritisch berichten.“ Nun besteht die „Unabhängigkeit“ der Novaya Gazeta in ihrer Finanzierung durch die „Open Society Foundation“ des berüchtigten US-Milliardärs George Soros, dessen Beteiligung an den diversen Farbrevolutionen im Osten Europas selbst von öffentlichen Sendern im Westen nicht bestritten wird, wie es weiland der ORF für das neutrale Österreich bewies.




Doch selbst dieser wenig als neutral zu vermutende Artikel verweist nur auf die bloße Existenz einer solchen Firma und vermag sie nur dadurch in Beziehung zum russischen Regierungschef zu setzen, indem sie – ohne Beleg hierfür – deren Besitzer Evgeny Prigozhin als „Geschäftsfreund“ Wladimir Putins behauptet. Allerdings werden in dem Text nur Internetaktivitäten in russischer Sprache genannt. Die Behauptung, es habe auch Verfasser von Posts in englischer Sprache und tatsächlich einen (sic!) in deutscher Sprache gegeben, erfolgte erst bei einem späteren, dem „westlichen“ Medienhype folgenden Radiointerview auf Radio Free Europe.

Die Annahme aber, ausgerechnet hierbei handle es sich um eine neutrale Plattform nimmt passend Paul Schreyer auf Telepolis auseinander:

„Nun ist Radio Free Europe im Kontext einer Debatte um Propaganda sicherlich die am denkbar wenigsten vertrauenswürdige Quelle. Es ist selbst ein Propagandawerkzeug aus der Zeit des Kalten Krieges und wurde nachweislich viele Jahre von der CIA finanziert.“


Vor allem aber wird, selbst wenn man die dürftige Beweislage und die Zweifelhaftigkeit der Zeugen außer Acht lässt, die Proportionalität zu einer anderen politischen Manipulationsmacht derart ignoriert, dass das dramatisierende Schmierenstück über die ‚Bedrohung durch russische Propaganda‘ sich selbst als das entlarvt, was es ist: nämlich ganz besonders billige Propaganda.

Denn selbst die sensationsheischenden Artikel der deutschen Leitmedien unterstellen der in bester Manier des kalten Krieges gezeichneten „Trollfabrik“ lediglich wenige hundert Mitarbeiter. Dagegen kennt seit den Enthüllungen von Edward Snowden so ziemlich die ganze Welt die exakte Anzahl der von der NSA eingesetzten Mitarbeiter zur Manipulation von Internetforen: nämlich glatte 27.000. Das freilich reicht der wissensbedürftigen Agentur für den nach Pakistan am besten überwachten Raum, den deutschen nämlich, aber längst nicht aus, wie folgende Jobanzeige belegt, in der die US-Botschaft in Berlin nach einem/r Mitarbeiter/in sucht, die sich in deutschen Foren unerkannt rumtreiben sollen, um sie zu Gunsten der US-Interessen zu beinflussen. Die Anzeige war für jeden Interessierten offen im Netz einsehbar.

Doch damit nicht genug: Unter den zahlreichen Publikationen von Glenn Greenwald zur Auswertung der Snowden Leaks weisen einige die zusätzlich mehrere tausend Mitarbeiter umfassende Tätigkeit des britischen GCHQ nach, die nicht nur Diskussionen manipulativ formen sollen, sondern sogar zu diesem Zweck den Auftrag erhalten, die Reputation missbeliebiger Personen durch Rufmord, Diffamierung und üble Nachrede zu zerstören, um sie jedes Einflusses auf die öffentliche Meinung relevanter Staaten zu rauben.

Die Bedenklichkeit der Praxis der „Five Eyes“ und der darin wirkenden Gefahr für die Demokratie scheint auch zum Zeitpunkt der Snowden-Leaks dem ZDF voll bewusst gewesen zu sein, wie eine 2014 ausgestrahlte ZDF-Dokumentation mit dem bezeichnenden Titel „Verschwörung gegen die Freiheit“ belegt.

Dennoch erweckt die Darstellung in der „Dokumentation“ den Anschein, als stecke in der nur lausig belegten Annahme, dass der Kreml auch nur wenige hundert Internetaktivisten in Petersburg beschäftige, eine tödliche Gefahr für die geistige Gesundheit der „hearts and minds“ von 80 Millionen Deutschen, während der mehr als zehntausendfach besser ausgerüstete Apparat von Spin-Doktoren „made in the USA“ eine klar dokumentierte Propagandamaschinerie des Pentagons offenbart hat, die sich nicht davon abhalten lässt, die Gesamtheit der deutschen Bürger dauerhaft ihrer Grundrechte nach § 4, § 5 und § 10 des Grundgesetzes zu berauben. Und das sind die realen Verhältnisse.

Der Berichterstattung unseres öffentlich-rechtlichen Rundfunks lässt sich diese Proportionalität der Freiheitsberaubung nicht entnehmen, wenn man die Meldungen zu „Putins Trollfabrik“ in ARD und ZDF liest, die ganz dem Tenor der vorliegenden „Dokumentation“ entsprechen.


Ganz anders dagegen lesen sich die Posts der Leser auf der Mediathek unter den oben verlinkten Beiträgen von ARD und ZDF. Wie will man dies erklären? Ist dies auch das Werk „russischer Trolle“? Sollte tatsächlich Moskau der einzige Ort sein, an dem man sich Gedanken um die Auswirkungen eines gigantischen Späh- und Manipulationsapparats des Internets auf die Grund- und Freiheitsrechte deutscher Staatsbürger macht?

Im ZDF scheint man das so zu sehen. Denn auch durch den gleichfalls nur übers Internet in deutscher Sprache zugänglichen russischen Sender RT scheint man dort die Geistesfreiheit der Deutschen gefährdet zu sehen. Das ist nun aber wirklich beachtlich. Da ja nun dankenswerterweise durch den verdienstvollen Sketch der Satiresendung „Die Anstalt“ zu Uwe Krügers empirischer Untersuchung „Meinungsmacht. Der Einfluss von Elitennetzwerken auf Leitmedien und Alphajournalisten“ (2014) bekannt ist, wie sehr transatlantische Netzwerke und Thinktanks zu dafür zu sorgen versuchen, dass der deutsche Bürger nur das für eine Nachricht hält, was mit der Weltsicht der US-Regierung und der Nato vereinbar ist, muss RT ja geradezu über magische Kräfte verfügen, um im unterstelltem Maße die deutsche Gesellschaft beeinflussen zu können.

Denn anders ist es nicht möglich zu erklären, wie das geballte mediale Potenzial US-amerikanischer Provenienz auch nur im Ansatz ausgehebelt werden kann. Zumal die dezent im Hintergrund arbeitenden Eliten-Netzwerke noch zusätzlich durch die ganze Phalanx von Nachrichtensendern (wie CNN, CBS früher Rias oder noch immer Radio free Europe) und die gigantisch Soft-Power-Maschine Hollywood verstärkt werden, die die USA als mächtigste Besatzungsmacht Westdeutschlands in sieben Nachkriegsjahrzehnten auszeichneten. Und was steht diesem Bollwerk entgegen? Ein Internetportal, das – sage und schreibe – drei jeweils halbstündige Sendungen pro Woche ausstrahlt. 

Die ZDF-„Dokumentation“ spricht hier allen Ernstes von einem ‚russischen Informationskrieg‘ und leidet bitter unter der Angst, die deutsche Gesellschaft könne derart perfider Verführungsmacht doch glattweg erliegen und davor – trotz all der aufopferungsvollen ‚transatlantischen Fürsorge‘ – im Eiltempo kapitulieren. Wäre das aber dann wirklich mit der propagandistischen Finesse des russischen Senders erklärbar? Oder liegt die Diskrepanz zwischen dem Denken des Publikums und den Botschaften USA-affiner Meinungsmacht nicht viel eher daran, dass die Attraktivität transatlantischer Narrative durch Erscheinungen wie die NSA-Totalüberwachung, Foltercamps à la Guantanamo und Abu Graib, eine endlose Serie völkerrechtswidriger Angriffskriege im Nahen Osten, kurz: durch Elemente also, die in Deutschland seit nun sieben Jahrzehnten nicht so furchtbar hoch im Kurs stehen, erheblich gelitten hat?

Die Unparteilichkeit der Darstellung:Das unrettbare Böse und die edlen Ritter der Tafelrunde

Jede Schülerin und jeder Schüler, der in Deutschland das Abitur bestanden hat, hat sich im Laufe seiner Schulzeit mindestens zweimal im Deutschunterricht und zweimal im Fach Geschichte mit der nationalsozialistischen Propaganda unter dem einschlägig bekannten Minister Joseph Goebbels vertraut machen müssen. Gelernt hat dieser Mann bekanntermaßen sein Handwerk durch das intensive Studium der aus dem Jahre 1928 stammenden Schrift „Propaganda“ des in den USA lebenden Freud-Neffen Edward Bernays. Die von diesem herausgearbeiteten Merkmale agitatorischer Rede, deren sich die NS-Zeit im Überfluss befleißigte, müssen in textanalytischen Klausuren von Schülern en detail herausgearbeitet werden: wie zum Beispiel der typische Manichäismus, bzw. die auffällige Gut/Böse und Schwarz/Weiß-Dichotomie, der bis in die Verben hinein ein dichotomisches Wording entspricht, die Neigung zur grundsätzlichen Personifikation behaupteter Übel, die Obsession der Dämonisierung des Gegners und der Hang zum übermäßigen Gebrauch von Superlativen. Zudem bemerken die Schüler, wie sehr Agitation und Propaganda permanent auf die Dramatisierung der Darstellung und die dauernde Emotionalisierung der Zuhörer setzen.

Als pädagogischer Effekt wird hierbei intendiert, dass Schüler lernen sollen, einer derart die Affekte ankurbelnden und Nüchternheit ausschaltenden Form der Rede zu misstrauen und auf ihre Intention abzuklopfen.

Schauen wir, das im Hinterkopf behaltend, nur mal auf den Beginn der Sendung, die sich ernsthaft für eine Dokumentation hält: Eine unbekannte Frau sagt auf Russisch zu martialischer Musik „Er ist stark und charismatisch.“ Dazu die Moderation: „In der Heimat verehrt, im Westen geschmäht.“ Nun hört man General Breedlove: „Putin verhält sich nach dem Motto: Lügen und Leugnen.“ Hierauf folgt martialisch der Titel der Sendung: „Machtmensch Putin“. Etwas später, nachdem der Moderator mit Verweis auf den Syrienkrieg raunend angekündigt hat, „dem Machtmensch Putin geht es in Syrien um mehr“ (als den Kampf gegen den Terror), setzt die Stimme des Focusredakteurs Boris Reitschuster ein:

„Da stecken viele Gründe hinter. Zum einen ist es so, dass er sich als eine Reinkarnation von Peter dem Großen und Ivan dem Schrecklichen fühlt. Er will auf die Weltbühne, will wieder mit den Amerikanern auf Augenhöhe operieren, und er spürt sehr genau, wunderbar, ich denke, er hat einen wunderbaren Instinkt, er spürt sehr genau die Schwäche von andern. Er spürt die Schwäche von Obama und das reizt ihn. Er ist der Spieler, er spürt hier, da kann ich den Platzhirsch machen, hier kann ich’s meinem größten Konkurrenten zeigen.“ Nun folgt das Echo des Moderators: „Sein Auftritt soll zeigen: Wir sind wieder stark.“

In einem späteren Ausschnitt leitet der Moderator, nachdem er auch die Wiedereinführung der Melodie der sowjetischen Hymne als Zeichen stalinistischen Machtstrebens gedeutet hat, eine dramaturgisch ähnlich aufgebaute und stilistisch verfasste Textstelle mit dem Satz ein: „Putin der Machtmensch: Er will den Glanz der Zaren und die Macht der Sowjets miteinander verbinden.“ (Ist sich dieser ZDF-Mann übrigens darüber im Klaren, dass auch er bei jedem Fußballspiel die Hymne hört, zu der auch Wilhelm II. und Adolf Hitler strammgestanden haben?)

Etwas später sagt Boris Reitschuster im Zuge einer erneuten intimen Introspektion in die Seele des russischen Präsidenten:

„Wenn man Wladimir Putin, wenn man seine Stimmungslage in zwei Worten beschreiben müsste, dann würde ich sagen: erniedrigt, beleidigt. Es zieht sich durch sein ganzes Leben: Ich bin erniedrigt und beleidigt worden, mein Land ist beleidigt worden, ich muss jetzt wieder Stärke zeigen, ich muss allen zeigen, wie toll ich bin, wie groß ich bin und der Westen hat da vielleicht aus psychologischer Sicht nicht sehr geschickt gehandelt und hätte Selbstbewusstsein aufblühen lassen soll. Und wenn Obama sagt, er ist eine Regionalmacht, dann ist der wie von der Tarantel gestochen, tse, tse, tse, tse, tse“

– und in diesem Tonfall geht es in einem fort….

Welche Reflexe löst alleine eine solche Bagatellisierung eines Landes und seiner Regierung und eine derart unterirdischer Stil der Mitteilung in einem Sendeformat, das eine Dokumentation darstellen soll, in einem Publikum aus, das prinzipiell von seiner Schulzeit an gelernt hat, pejorativer Rede zu misstrauen? Man fragt sich unwillkürlich: Wurde in solchem Tonfall je über einen englischen Staatschef berichtet? – einem französischen? – einem US-amerikanischen? Oder was würde geschehen, wenn irgendwer es wagte, sich in einem solchen Modus über einen israelischen Präsidenten auszulassen? Nicht auszudenken! Wie kann es aber kommen, dass so etwas im Falle Russlands möglich ist?

Und mit welcher Auswahl von Kronzeugen wird eine derartig missgünstige und sinistre Sichtweise abgesichert? Über die Aussagekraft eines Philip Breedlove habe ich mich bereits zu Beginn des Anschreibens geäußert; was vom langjährigen Focuskorrespondenten Boris Reitschuster zu halten ist, mag man seiner Rede entnehmen. Aber ähnlich voreingenommen zeigen sich auch weitere Personen, die in der Sendung zu Worte kommen. Eine den Passagen Reitschusters vergleichbare Mischung von Dämonisierung und missgünstig-spekulativer, dabei hoch fiktiver Introspektion in die Psyche Wladimir Putins findet sich auch in der ausführlich zitierten Rede der amerikanisch-russischen Aktivistin Masha Gessen, die mit ihrer Familie bereits 1981 14jährig aus Russland emigrierte und 2012 eine gallig-zornige Biographie mit dem Titel „Der Mann ohne Gesicht. Wladimir Putin“ schrieb.

Schaut man sich die Anzeigen hierauf, stellvertretend für andere Plattformen, auf Amazon.de und Buecher.de an, so fällt auf, dass die dort verlinkten positiven Rezensionen der Leitmedien auffallend mit den eher niederschmetternden Kommentaren der Leser kontrastieren, die dem Buch attestieren, außer einer ausgiebigen Beschimpfung der von ihr portraitierten Person nichts zu bieten, als was die westliche Tagespresse eh mantrahaft von sich gibt. Auch hier ist, wie bei allen anderen interviewten Personen, eine einseitig abschätzige Sicht auf den Gegenstand der „Dokumentation“ vorprogrammiert.

Nun ist es aber nicht so, dass es andere Beurteilungen in Deutschland nicht gäbe. Vormals oft interviewten Russlandexperten, die jedoch ab 2013 merklich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen kürzer treten mussten, fallen langjährigen Zuschauern da zuhauf ein: zum Beispiel Christian Wipperfürth, der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Angelegenheiten, Alexander Rahr, der Projektleiter beim Deutsch-Russischen Forum, Mathias Platzeck, der ehemalige Ministerpräsident von Brandenburg, Mitglied des ZDF-Verwaltungsrats und Vorsitzender des Petersburgers Dialog, der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, Gabriele Krone-Schmalz, die ehemalige Russlandkorrespondentin der ARD und Professorin für Journalistik oder der mit dem Deutschen Fernsehpreis, dem Adolf-Grimme-Preis und dem Helmut-Schmidt-Journalistenpreis ausgezeichnete Auslandskorrespondent der ARD Hubert Seipel. Keiner dieser Personen kommt als Kontrapunkt in dieser unwürdigen Sendung vor, die offensichtlich nichts als bloße Stimmung erzeugen will – und zwar eine hochgradig bösartige.

Es ist den Zuschauern ziemlich klar, dass mit Sendungen dieser Art für eine generelle politische Richtung – und zwar eine geopolitische Ausrichtung Deutschlands geworben werden soll und zwar eine strikt transatlantische. Eine solche gab es in der Bundesrepublik Deutschland schon immer. Ihr stand immer mit vergleichbarer Stärke eine eher kontinentaleuropäische oder – wie sie in den 50er und 60er Jahren genannt wurde, eine gaullistische entgegen. Durch Sendungen wie die obige wollen ganz offensichtlich die Macher, die genau diese Richtung vertreten, diese als „alternativlos“ in die Köpfe der Menschen hämmern. Einer solchen Einseitigkeit dürfte, wie sich dem oben zitierten Gesetzesausschnitt des Rundfunkvertrags entnehmen lässt, ein öffentlich-rechtlicher Sender in Deutschland nicht folgen. Doch selbst wenn man hiervon absieht, ist eine derart sichtbar tendenziöse Haltung darüber hinaus denkbar ungeschickt und stößt eher ab:

In Verbindung mit der NSA-Totalausspähung, dem permanenten Konfrontationswillen gegen ein Land, gegen das wir schon in zwei Weltkriegen blutig gehetzt wurden, und dem permanent von Washington aufgebauten Druck, eine immer stärker militarisierte Außenpolitik gegen die Länder im Nahen Osten mitzumachen, erreicht solche Propaganda das Gegenteil von dem, was sie erreichen will: Die Nation, an deren Interessen offensichtlich die deutsche Gesellschaft gekettet werden soll, wird den Menschen hierdurch immer unsympathischer.

Nicht die, die da portraitiert werden, sondern die, die ein anderes Land und dessen Regierung derart primitiv und menschenverachtend portraitieren, erscheinen den Menschen nämlich immer mehr als tödlich-totalitäre Bedrohung. Denn wer demokratischem Denken verpflichtet ist, versucht doch Menschen nicht derart emotional zu beeinflussen?

Diese Sendung war wie die ähnlichen Stils, die ihr vorangingen, übergriffig – auch und gerade uns als Zuschauern gegenüber.Ich protestiere hiermit entschieden dagegen, für so einen Schmutz Rundfunkgebühren entrichten zu müssen.

Ich bitte also Sie, liebe Mitglieder des Rundfunkrats, sich mit der Frage zu befassen, ob ein solcher Fehlgriff mit den gesetzlichen Grundlagen des Rundfunkvertrags vereinbar ist.

Mit freundlichen Grüßen

Anja Böttcher

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